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IGeL von Akupunktur bis Zahnreinigung: Darauf sollten Patienten achten

| Hilfe
Zahnreinigung
Nützlich, schädlich oder egal? Noch fehlen aussagekräftige Studien zur professionellen Zahnreiningung.

Individuelle Gesundheitsleistungen – kurz: IGeL – gehören längst zum Alltag für Arzt und Patient. Worauf sollten Patienten achten?

Sie begegnen Patienten bei der Vorsorge ebenso wie als Behandlungsmethoden: Allgemein- und Facharztpraxen bieten schätzungsweise mehrere Hundert unterschiedliche Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) an, von A wie Akupunktur in der Schwangerschaft bis Z wie (professionelle) Zahnreinigung. Hinzu kommen Dutzende von Verfahren, die ausschließlich Naturheilpraktiker offerieren. Dabei den Überblick zu bewahren, ist fast unmöglich.

Was sind individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)?

Zum Glück helfen seit Jahren einige Experten Patienten, eine Schneise durch den Angebotsdschungel zu schlagen und damit zu wissen, worauf man sich einlässt, bevor der erste Euro fließt und die erste Nadel zusticht. „IGeL sind nie eilig“, gibt Tanja Wolf aus dem Team Gesundheit und Pflege der Verbraucherzentrale NRW zu bedenken. Das kann vor allem jene beruhigen, die Angst haben, ein wichtiges Zeitfenster für eine Behandlung zu verpassen.

„Es gibt bei IGeL keine Qualitätskontrolle“, ergänzt die Expertin. „IGeL werden von keiner Instanz geprüft, bevor sie auf den Markt kommen. Das Argument vieler Ärzte, der Test oder die Untersuchung sei neuer und besser als das Angebot der gesetzlichen Krankenkassen, ist nicht immer richtig.“ Dass manche IGeL mehr Probleme als Hilfe bedeuten, davon zeugt auch das Internetportal der Verbraucherzentrale NRW mit der bezeichnenden Adresse www.igel-aerger.de.

Lohnt die Zahnreinigung?

Neben grundsätzlichen Informationen zu IGeL finden sich auf dieser Internetseite zahlreiche Erfahrungsberichte von Patienten, die sich zu Behandlungen gedrängt fühlten, die nicht über (kassenfinanzierte) Alternativen informiert oder fehlerhaft behandelt wurden. Mal bekam ein Patient mit fortgeschrittener Arthrose Hyaluronsäure ins Knie injiziert, die bei seinem Befund wenn, dann meist nur kurz hilft, mal wurde eine Patientin unter Druck gesetzt, eine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung wahrzunehmen (Befund: wie erwartet negativ).

Auch bei der professionellen Zahnreinigung (PZR) gibt es immer wieder Probleme: Die PZR wird regelwidrig immer wieder als zwingende Vorleistung für eine Parodontitisbehandlung verkauft. Dabei dürfen Ärzte eine Privatleistung nicht zur Voraussetzung für eine Kassenleistung machen. Von allen drei Verfahren sieht das Team des IGeL-Monitor, der vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) herausgegeben wird, zwei als tendenziell negativ und die PZR als „unklar“ an. Bei der Bewertung „unklar“ halten sich möglicher Nutzen und Schaden entweder die Waage oder es sind weder Vorteile noch Schäden zu erwarten. Damit gehört die professionelle Zahnreinigung noch zu den vielversprechenderen unter den mehr als 50 IGeL, die das IGeL-Monitor-Team inzwischen recherchiert hat.

Viele Untersuchungen oder Behandlungen ziehen nämlich Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle oder allergische Reaktionen nach sich. Bei anderen sind die erwünschten Effekte dem aktuellen Stand der Forschung zufolge eher auf einen Placeboeffekt zurückzuführen. Zu einer dritten Gruppe von IGeL fehlen bislang schlichtweg gut designte Untersuchungen.

Leere Versprechungen

Den Projektleiter des IGeL-Monitors, den Medizinjournalisten Dr. Christian Weymayr, verblüfft immer wieder, „wie viel Ärzte zu den IGeL versprechen und wie wenig sie sich dabei um die in Leitlinien dokumentierten Empfehlungen kümmern“. Denn zu den meisten Erkrankungen, selbst seltenen, gibt es inzwischen Leitlinien, teilweise extra für Patienten formuliert. Für jede haben Ärzte und andere Experten akribisch internationale Studien analysiert, sich mit Kollegen aus anderen Fachrichtungen abgestimmt und Empfehlungen ausgearbeitet.

Mehr Infos zu Leitlinien

 

Da geht es beileibe nicht nur um Medikamente und Operationen, sondern auch um komplementärmedizinische Diagnostik und Behandlungen. Natürlich können Empfehlungen sich ändern, doch was sich erst einmal in mehreren großen Studien als unsinnig oder schädlich erwiesen hat, wird selten plötzlich zum neuen Wunderheilmittel. Gute und schlechte IGeL Christian Weymayr nennt als Beispiel einer schädlichen IGeL die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke bei Frauen ohne Symptome. Inzwischen arbeiteten Studien heraus, dass bei dieser Früherkennungsmethode kein Überlebensvorteil für Patientinnen entsteht, die wirklich Krebs haben. Stattdessen sind falsch-positive Befunde verbreitet, viele Frauen mussten bereits nach harmlosen Verwachsungen oder Zysten zur Biopsie oder bekamen ihre gesunden Eierstöcke entfernt.

„So hatten die Patientinnen völlig unnötig die Risiken und Belastungen einer Operation. Tausende Frauen werden so jedes Jahr in Deutschland schwer geschädigt“, berichtet der Experte. Zwei der aktuell vom IGeL-Monitor vorgestellten Verfahren haben die Bewertung „tendenziell positiv“ bekommen: Die Akupunktur zur Migräneprophylaxe sowie die Lichttherapie bei der sogenannten Winterdepression haben der jetzigen Studienlage zufolge mehr hilfreiche als negative Effekte. Uneingeschränkt positiv ist laut IGeL-Monitor derzeit keine einzige IGeL. Allerdings haben Ärzte natürlich ihre Gründe dafür, eine Untersuchung oder Therapie Patienten ans Herz zu legen. Was sie im eigenen Umfeld oder in der eigenen Praxis an positiven Verläufen beobachten konnten, überzeugt einige. Andere verlassen sich auf Herstellerangaben von Firmen, denen sie vertrauen. Manche geben dem Drängen ihrer Patienten nach, die ein bestimmtes Verfahren unbedingt haben wollen, anderen geht es vorrangig um eine zusätzliche Einnahmequelle.

So oder so gilt: Was IGeL ist, muss keine IGeL bleiben, sondern kann irgendwann auch bezahlt werden. „Wenn die Ärzteschaft von einer Methode so sehr überzeugt ist, kann sie jederzeit einen Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) stellen“, gibt Tanja Wolf zu bedenken. „Dort wird geprüft, ob der Nutzen positiv zu bewerten ist und ob die Therapie oder Früherkennung wirtschaftlich ist. Dann kann die Methode gesetzliche Kassenleistung werden.“ So ähnlich wurde bei einer früheren IGeL verfahren: Die Stoßwellentherapie gegen Plantarfasziitis ist inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen Kassenleistung geworden. Der MDS hatte den Antrag dazu gestellt.

Nicht ohne Bedenkzeit!

Was aber tun, wenn Ärzte oder Assistenz angeblich innovative und allen anderen überlegene Untersuchungen oder Therapien anbieten? Tanja Wolf und Christian Weymayr empfehlen, in diesen Fällen um Bedenkzeit zu bitten. Was IGeL ist, muss nie sofort passieren, dafür ist bis zum nächsten Termin Zeit. Zudem sollte das Angebot nicht von der medizinisch-technischen Assistentin kommen, sondern von Arzt oder Ärztin selbst.

Zeit für Antworten auf kritische Patientenfragen sollte genug vorhanden sein. Christian Weymayr rät zu offenen Fragen wie: „Was passiert, wenn ich das nicht mache?“, „Welche Auswirkungen hat das auf die weitere Therapie?“ oder auch „Warum ist das keine Kassenleistung?“. Selbst, wenn die Antworten überzeugend klingen: Patienten tun gut daran, nicht sofort zu unterschreiben und mitzumachen, sondern sich Bedenkzeit zu erbitten. So können sie in Ruhe Wissenswertes über die IGeL nachlesen, sich erkundigen, ob der Preis so üblich ist, ihre Rheuma-Liga-Gruppe oder Freunde um Rat fragen sowie in einer zweiten Praxis um eine zweite Meinung bitten. „Auch bei großen Schmerzen, großer Verzweiflung und wenig Aussicht auf Heilung: Vertrauen Sie nicht allen Angeboten auf dem Markt“, betont Tanja Wolf. „Neinsagen ist erlaubt. Und denken Sie an die Regeln, die allgemein für IGeL gelten: – Ärzte dürfen nur IGeL abrechnen, wenn der Patient vorher ausdrücklich zugestimmt hat.

  • Vor der Untersuchung oder Behandlung ist eine schriftliche Behandlungsvereinbarung vorgeschrieben.
  • Ärzte mit Kassenzulassung sind verpflichtet, für gesetzlich Versicherte Kassenleistungen anzubieten, sie dürfen diese nicht abwerten oder eine Privatleistung zur Vorbedingung machen.
  • Patienten müssen eine Rechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte erhalten, eine pauschale Vergütung ist verboten.“

Manches, was für die Allgemeinbevölkerung als IGeL zu bezahlen ist, kann mit einer chronischen Erkrankung übrigens zur Kassenleistung werden. Die Knochendichtemessung mit DXA wird bei Osteoporose beziehungsweise dem Verdacht darauf oft von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Der Rheumatologe und die eigene Krankenkasse sind die richtigen Ansprechpartner, um das zu klären. Wenn sich nach einer IGeL herausstellt, dass sie überteuert oder schädlich war, können Patienten sich selbstredend beschweren. Die eigene Krankenkasse, die Landesverbraucherzentrale und die Patientenberatung der Ärztekammer nehmen solche Beschwerden entgegen. Wer seinem Frust direkt beim Team von IGeL-Ärger Luft macht, kann seine Erfahrungen sowohl (anonymisiert) mit anderen teilen als auch darauf zählen, dass das Team der Verbraucherzentrale NRW die Beschwerden sammelt und weiterleitet.

Vorsicht, Werbung!

Abschließend empfiehlt Christian Weymayr, vielversprechende Infos über IGeL in den Medien genauso kritisch zu betrachten wie klassische Werbung. „Ich habe neulich zur Arthrose recherchiert und fand auf 50 Ärzte-Homepages positiv klingende Informationen über Eigenbluttherapie, Magnetfeldtherapie und viele andere Verfahren“, berichtet er. „Für den Nutzen dieser Therapien gibt es keine Evidenz. Ich bin bestürzt, was da so unkritisch angeboten wird.“

Autorin: Petra Plaum

Beratung und Begegnung

Sich mit Rheuma nicht allein fühlen und die bestmögliche Versorgung finden: Das ist das Ziel des bundesweiten Netzwerks der Deutschen Rheuma-Liga. Die Landes- und Mitgliedsverbände bieten bundesweit Rheumabetroffenen und deren Angehörigen Informationen und Unterstützung.

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